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Anforderungsmanagement – Projektbeispiel vermittelt wichtige Erfolgsfaktoren
Die Digitalisierung, mit all ihren Chancen und Herausforderungen, ist in aller Munde und steht nahezu bei jeder Führungskraft in kleinen, mittleren und großen Unternehmen auf der Agenda. Oft dient das Schlagwort für viele Marketingabteilungen nur zur Gewinnung von Aufmerksamkeit, häufiger muss man sich schon die Frage stellen, was an dem beworbenen Angebot neu oder revolutionär sein soll. Es gibt jedoch Projektbeispiele, nach denen wir stetig auf der Suche sind, bei denen sich in der Tat klare Kosten- und Zeitersparnis messen lassen, indem Arbeitsprozesse nachhaltig innoviert und optimiert wurden. Wir freuen uns, auf ein solches Praxisbeispiel gestoßen zu sein, beim renommierten Automobilzulieferer Mahle, der an 170 Standorten rund 76 000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Projekt wurde in der Mahle Behr initiiert, einem Unternehmen, das im Jahr 2010 als Hersteller von Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung übernommen wurde.
Automatische Zerlegung von Lastenheften zur Optimierung der Prozesse im Anforderungsmanagement?
In der Tat könnten Sie sich die kritische Frage stellen, um welche Innovation es sich bei der automatischen Zerlegung der Lastenhefte handelt, denn schließlich liegen uns schon seit Jahren die Anforderungen für Projekte in den unterschiedlichsten Dateiformaten vor, wie z.B. Word, Excel oder PDF.
Das interessante an diesem Projektbeispiel ist, dass nicht mehr nur einzelne Dateien bewertet werden, sondern eine gemeinsame Plattform für Mitarbeiter zur Anforderungsbewertung auf Einzelanforderungs-Ebene, geschaffen wurde. Mit der bereichsübergreifenden Lösung wurde der gesamte Prozess für das Anforderungsmanagement, beginnend in der frühen Phase der Angebotserstellung, optimiert und eine weitreichende Optimierung erzielt, die für viele Anwender und Nutzer aufgrund der Zeitersparnis und Vereinfachung nicht mehr aus dem beruflichen Alltag wegzudenken ist.
Das Anforderungsmanagement in der Vergangenheit als Ausgangssituation
Der PLM-Prozess (Produktlebenszyklusmanagement) reicht bei Mahle von der Projektgewinnung bis hin zum Service der hergestellten Produkte. Schon in der Akquisephase muss das Anforderungsmanagement organisiert werden, u.a. zur Unterstützung bei Vertragsverhandlungen, um mit Fakten aus dem übermittelten Lastenheft dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen, sicher zu verhandeln und zuverlässige Aussagen zu treffen. Bei der Projektanfrage übermittelt der Kunde i. d. R. ein Lastenheft, das mit einem internen Regelwerk verglichen und von den jeweiligen Experten, anhand der Anforderungen und den vordefinierten Kriterien, bewertet werden muss. Der Projektleiter steht in der Pflicht, die Anforderungen an das Experten-Team zur Bewertung weiterzuleiten. Wer solch einen Prozess schon einmal mitgestaltet hat, weiß wie aufwendig der Koordinationsaufwand sein kann, bis von allen internen und externen Experten die Rückmeldung erfolgt ist. In vielen Unternehmen wird dieses Anforderungsmanagement -wie zuvor auch bei Mahle Behr- manuell gesteuert. Der Aufwand, sich ein Lastenheft im angelieferten Format durchzulesen, bewerten zu lassen, Rücksprache zu halten, um eine valide Einschätzung hinsichtlich der Machbarkeit und des Kostenrahmens zu erhalten, wird an dieser Stelle oft unterschätzt oder aufgrund nicht verbreiteten Alternativen einfach akzeptiert. Oftmals ist jedoch genau der große Aufwand beim manuellen Anforderungsmanagement der Grund, sich an gewissen Ausschreibungen und der Beantwortung von einem Lastenheft nicht zu beteiligen.
Hinweis: Unsere Berichte sind oft sehr ausführlich. Daher bieten wir mit der PDF „Anforderungsmanagement“ eine Zusendung des Artikels im PDF-Format zur späteren Sichtung an. Nutzen Sie das Angebot um sich die Praxis-Impulse in Ruhe durchzulesen, Sie können hierfür auch einfach auf das PDF-Symbol klicken.
Der Aufwand für ein professionelles Anforderungsmanagement geht über die Bewertung von Lastenhefte weit hinaus
Vor diesem Projekt musste auf manuellem Weg das Lastenheft komplett durchgelesen werden. Eine konkrete Vorstellung über die Bandbreite des zeitlichen Bearbeitungsaufwands, liefert uns Mahle Behr mit den nachfolgende Zahlenbeispiele hinsichtlich des Dokumentenumfangs. Zum Teil handelt es sich um eine Größenordnung von 16 Druckseiten, oft handelt es sich um Pflichten- oder Lastenhefte mit 50 bis 120 Seiten, nicht selten hat ein Lastenheft den Umfang von 350 Seiten. Ein wichtiger Aufwandsfaktor ist die häufig vorkommende und mehrstufige Dokumentenstruktur, die durch Verweise und Referenzierungen auf begleitenden Dokumenten entsteht. Die durchschnittlichen Ausprägung einer Dokumentenstruktur wird oft zur großen Herausforderung und erfordert eine Höchstmaß an Konzentration, damit keine wichtigen Anforderungen im Pflichtenheft überlesen oder unkommentiert bleiben.
Die Aufgliederung und Verteilung der Bewertungsaufgaben machte das Anforderungsmanagement sehr komplex
Früher wurde eine PDF-Datei in eine Excel-Datei übertragen um ein strukturiertes Abarbeiten der einzelnen Punkte von unterschiedlichen Experten zu ermöglichen. Die Regel war, wer kennt es nicht, dass für die ungestörte Bearbeitung durch die jeweiligen Experten, Kopien angefertigt wurden. Nicht nur die Kopien und das Zusammenführen musste manuell gemeistert werden, der Koordinationsaufwand war damit nicht abgeschlossen. Der Grund hierfür waren die unterschiedlichen Formatierungen und Formulierungen die von Kunde zu Kunde variierten. Um eine Grundlage für Vertragsverhandlungen zu haben, wurden alle Bewertungen im Nachgang manuell fusioniert.
Das zur damaligen Zeit manuell durchgeführte Anforderungsmanagement war sehr fehleranfällig und brachte Unsicherheiten auf der Bauchebene mit sich. Iterationen waren keine Seltenheit und so entstanden mehrere Revisionen je Lastenheft. Spannend wurde es, wenn auf Kundenseite nach der Ersteinreichung eines Lastenheft, am Konfigurationsmanagement etwas geändert wurde und der Kunde selbst den Überblick über seine getätigten Änderungen verloren hatte. Das manuelle Konfigurationsmanagement mit den Bordmitteln von Excel führte zu einem hohen Stressfaktor ohne dabei den Aufwand dauerhaft zu reduzieren. Da die Transparenz stets bemängelt wurde, sollte eine neue Lösung gefunden werden, um die Effizienz über den kompletten PLM-Prozess hinweg zu erhöhen und vorausschauende Qualitätssicherung zu betreiben.
Professionelles Anforderungsmanagement – Die Anforderungen zur Lösungsfindung
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Als Grundvoraussetzung für das neue Anforderungsmanagement wurde ein gemeinsamer Datenpool und eine einheitliche Oberfläche für Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer und der unterschiedlichen Mahle Betriebsstätten definiert. Folgendes Ziel wurde ausgerufen: Standort-, Abteilungs,- und Firmenübergreifendes Bewerten auf einer gemeinsamen Grundlage.
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Als zweites wurde das Idealbild definiert das sehr anspruchsvoll war, denn die manuelle Zerlegung, ausgehendvon PDF über MS-Excel transformiert, sollte gänzlich vermieden werden. Mit einer automatisierten Erkennung und Strukturierung beim Einscannen, sollte anhand konfigurierbarer Regeln, der Verteilungsprozess deutlich vereinbart werden.
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Die strukturierte Klassifizierung anhand von Standardformaten wie PDF-, MS-Excel- und MS-Word-Dateien sollten ebenso beim Scannen in ihre Informationseinheiten zerlegt, strukturiert und interpretiert werden.
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Die in der Ausgangssituation beschriebene Revisionen der Pflichten- und Lastenhefte benötigen aufgrund des aufwendigen Vergleichens teils länger als die Erstsichtung. Daher kam die Anforderung, die erkannten Informationseinheiten einerseits mit der Vorgängerversion des Dokuments, andererseits mit Verwendungen in anderen Projekten vergleichen zu können, so dass jeweils der aktuellste Stand den Nutzern zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung steht.
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Die automatisch erkannten Informationseinheiten sollen einfach und nachvollziehbar ergänzt und in oft noch kleinere Informationseinheiten, z.B. für die Zulieferer zerlegt werden können. Dabei wurde aufgrund der nicht vorhandenen Transparenz in der Vergangenheit definiert, dass einzelne Anforderungen hinzugefügt, als ungültig markiert oder in mehrere Anforderungen zerlegt werden können. Anforderungen im Kontext eines Projekts sollen direkt kommentiert und der Status der Bearbeitung im System hinterlegt werden können.
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Das neue System soll offen sein, um als zentrale Informationsplattform genutzt werden zu können. Recherchen in Hinsicht auf Bewertungen in anderen Projekten zur selben Anforderung im laufenden Prozess sind möglich.
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Trotz der gemeinsamen Plattform sollten keine Grenzen gesetzt werden, um Dritten die keine Zugangsberechtigung haben, einen Informationsauszug in unterschiedlichen Formaten und Strukturen exportieren zu können (Multi-User Betrieb).
Intern ist geregelt, welche Experten die jeweils im Lastenheft enthaltenen Anforderungen gemäß vordefinierten Kriterien bewerten müssen. Entsprechend werden die Dokumente in ReqMan®, einem Produkt von der :em engineering methods AG, importiert und automatisiert in strukturierte Einzelanforderungen zerlegt. Der Projektleiter weist die entsprechenden Verantwortlichen zu. Von der Entwicklung über den Einkauf – teilweise werden auch Zulieferer eingebunden –, die Logistik und die Verpackung bis hin zum Qualitätsmanagement wurde eine ganzheitliche Lösung geschaffen.
Inzwischen greifen rund 100 Anwender auf das professionelle Anforderungsmanagement zu. Verstärkt wird die Plattform in der sogenannten technischen Vertragsbewertung und -prüfung genutzt um Anforderungen zu klassifizieren und zu bewerten. Mahle ist seit der Einführung des professionellen Anforderungsmanagement noch schneller in der Lage, anhand dem vom Kunden übermittelten Lastenheft, dessen Anforderungen zu akzeptieren oder abzulehnen. Von der Vertragsabteilung beginnend hat sich die Plattform zur Komplettlösung entfaltet und stellt heute im Mahle-Geschäftsbereich Thermomanagement eine wichtige Informationsquelle zur Qualitätssicherung dar.
Sobald das Dokument in die Plattform eingelesen ist, können die Verantwortlichkeiten für die Beurteilung zugewiesen werden. Das bedeutet, es werden keine Excel-Dateien mehr versendet (die im Anschluss wieder mühsam zusammengefügt werden müssten), sondern die einzelnen Bewertungen werden direkt in der Datenbank durchgeführt. Umfangreiche Filterfunktionen machen es dem jeweiligen Experten einfach, nach dem für ihn relevanten Informationen zu filtern. Am Ende des Bewertungsprozesses lässt sich sozusagen per Mausklick, das Bewertungsdokument als Ganzes einfach auslesen. Übrigens kommt es gar nicht so selten vor, dass Anforderungen abgelehnt werden. Entscheidend ist, dass die kritischen Stellen im Lastenheft zweifelsfrei erkannt werden. Man kann den Export auf die nicht akzeptierten Anforderungen beschränken, um diese dann ganz gezielt mit dem Kunden zu diskutieren. Nur eine eingeschränkte Anzahl an Nutzern hat das Recht, entsprechende Profile für Dokumente zu erstellen. Bei Mahle sind es rund 20 Mitarbeiter.
Kritik mit der sich gut leben lässt
Es ist unsere Pflicht bei so viel beschriebenen Vorteilen die kritische Brille aufgesetzt zu lassen und so fragten wir uns, welche genialen Programmierer so ein vollautomatisiertes System entwickeln konnten. Als Antwort erhielten wir die Aussage dass es sich nicht um eine 100%ige vollautomatisierte Plug&Play-Lösung handelt.
Es handelt sich jedoch um eine selbstlernende Datenbank, die mit jedem bewerteten Projekt seinen Automatisierungsgrad erhöht. So befinden sich auf der Plattform im Hause Mahle rund 130 Lastenhefte, deren Bewertungen die Basis eines interaktiv aufgebauten Wissensmanagement sind.
Es wurden eine ganze Reihe von Anforderungstypen bewertet, die in der Zukunft nicht mehr manuell begutachtet werden müssen. Durch die Zuordnung einer Bewertung ist die Plattform in der Lage fortan automatisiert auf die Datenbank zurück zu greifen.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Vergleichsfunktion zur Bewertung unterschiedlicher Projekte, so dass gleiche Anforderungen unmittelbar erkannt werden und deren Bewertung angezeigt wird. Der zugrunde liegende Algorithmus erkennt auch Anforderungen mit geringfügigen Abweichungen – vielleicht ist ja nur ein Wort hinzugekommen, oder es wurde ein anderer Satzbau gewählt. Inhaltlich identische Anforderungen werden unmittelbar erkannt und gleich bewertet. Die enorme Zeitersparnis bedeutet konkret, anstatt mit dem früheren manuellen Anforderungsmanagement einen Tag zu benötigen, bereits nach zehn Minuten fertig zu sein. Bei komplexeren Projekten können 2 Wochen für den Zerlegungsaufwand in die jeweiligen Bewertungseinheiten auf 2 Minuten reduziert werden. Dies rechtfertigt den Aufwand die Datenbank ohne zusätzlichen Aufwand im Vorfeld, sondern agil und interaktiv schlau machen zu müssen.
Ein weiterer Kritikpunkt wurde von uns hinsichtlich der Client-Server-Infrastruktur eingebracht. Ist die, von vielen allgemein empfundene, in die Jahre gekommene Architektur, im Zeitalter der webbasierenden Softwareanwendungen noch zeitgemäß und wie sieht es mit der Benutzerfreundlichkeit aus?
Als Antwort erhielten wir, dass die Produktreife eines funktionierenden Systems, die benötigten schnellen Antwortzeiten über komplexe und mehrfach verschachtelte Projektstrukturen hinweg, und die von den Anwendern gelobte Benutzerfreundlichkeit keinen Anlass gäbe, das Produkt komplett neu zu entwickeln. Im Zeitalter von Remote-Desktop-Verbindungen und der Möglichkeiten zur Virtualisierung, kann der Zugriff ohne großen Installationsaufwand sicher gestellt werden. Weiter erhielten wir den Hinweis, dass es sich in der Regel um sehr vertrauliche und sensible Projektinformationen handelt, die ohnehin auf der eigenen Server-Infrastruktur abgelegt werden müssen.
Im Zusammenhang mit der Benutzerfreundlichkeit, wurden die übersichtliche und strukturierte Benutzeroberfläche genannt, sowie der Vorteil bei der Einführung, da sich der Schulungsaufwand im Vergleich zu bisherigen Anwendungen des manuellen Prozesses, reduziert hat. Einfache Tätigkeiten, wie das Bewerten von Anforderungen, sind intuitiv oder mit einem Blick über die Schulter des Kollegen, erlernbar. Exemplarisch dafür wurde uns der Import Profile Editor genannt, mit dem sich einzelne Interpretationsregeln für unterschiedliche Ausprägungen von PDF-, Excel- und Word- Dateien definieren und kombinieren lassen, so dass eine vollständige Interpretation der Dokumentinhalte gewährleistet wird. Funktionsbausteine mit Zahnrad-Funktion (eine Art „Wizard“) machen eine nahezu intuitive Anwendung möglich. Weiter ist man stolz darauf, der Philosophie keine individuellen Programmierungen durchführen zu müssen bis heute treu geblieben zu sein. Soll beispielsweise ein Schriftfond mit spezieller Größe als Interpretationsmerkmal übernommen werden, kann dies über eine Markierung im Text elegant durchgeführt werden: Diese Eigenschaften werden dann automatisch auf den Funktionsbaustein übertragen, so dass der Nutzer nichts per Tastatur eingeben muss. Kommuniziert zum Beispiel ein Kunde etwas kursiv, weil es ihm wichtig erscheint, kann dies wie eben beschrieben als Strukturelement übernommen werden.
Fazit
Die Ziele eines transparenten und effektiven Collaboration Management wurden trotz hoher Komplexität in den Projekten und der, auf den ersten Blick scheinbar unendlichen Verschachtelungstiefen erreicht, ohne die Anwender damit zu überfordern. Das professionelle Anforderungsmanagement verkürzt den Begutachtungsprozess der Lastenhefte enorm und hilft dabei, Sachverhalte präzise zu interpretieren und zu kommunizieren. Gleichzeitig dient es noch weit nach Projektabschluss als Wissensdatenbank mit einer lückenlosen Dokumentation der unterschiedlichen Bewertungen und Kundenrücksprachen. Die erzielbare Zeitersparnis ist enorm und rechtfertigt die Einführung eines professionellen Anforderungsmanagement.
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